Montag, 29. November 2010

Mikael

Alle LehrerInnen mögen Mikael*. Er ist Teil einer sogenannten Übungsklasse, die Woche für Woche freiwillig auf die Uni kommt, um sich von uns in Deutsch unterrichten zu lassen. Die Klasse besteht aus Erasmus-StudentInnen, aus MigrantInnen, Leuten, die in Österreich arbeiten, aber ihr Deutsch verbessern wollen usw.
Mikael ist nicht beliebt, weil er so brav mitlernt oder die Grammatik so toll beherrscht, sondern weil er einfach ein richtig sympathischer Kerl in den 30ern ist, der mit der nötigen Partie Humor sein Nichtwissen kompensiert. Wenn er lächelt, mit den Schultern zuckt und "Ich weiß niecht!" sagt, steckt er uns alle mit seiner guten Laune an. Er ist herzlich, freundlich und macht den Übungen immer bereitwillig mit. Ein Liebling eben.



Heute haben wir über Berufe und Ausbildungen gesprochen: Jeder sollte etwas über sich erzählen. Mikael ist Priester - das hätten wir nie erwartet.
Er war sechs Jahre in Argentinien - das hätten wir nie erwartet.
Jetzt arbeitet er in einem Krankenhaus und erzählt, dass es schwierig ist, viel mit dem Tod arbeiten zu müssen - das hat uns verblüfft.



Umgehauen hat mich aber meine Verwunderung über all diese neuen Informationen:

Mikael kommt aus Russland - das wusste ich.
Mikael sucht hier eine Arbeit - das hätte ich erwartet.
Mikael hat keine gute Ausbildung genossen - das hätte ich erwartet.
Mikael kann sich keine bessere Kleidung leisten - das habe ich mir gedacht.



Das alles dachte ich mir nicht, weil ich Mikael nicht mag (wie gesagt, er ist ein richtiger Schatz).

Ich dachte es mir, weil Mikael gebrochenes Deutsch spricht und aus Russland kommt.




Ich hab mich grad mächtig bei meinen eigenen Vorurteilen ertappt. Ouch.





* Name geändert

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mit solchen Vorurteilen gehen wir in die Klassen, an die Prüfungen, überall hin. Erleichtern oder erschweren sie unser Leben?
lg teacher