"Jeder ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt." Mark Twain
Gestern Nacht wurde mir etwas bewusst, worüber ich zuvor wohl noch nie so richtig nachgedacht hatte. Ich sprach mit meiner Freundin über Lesben und darüber, dass ich die wenigsten von ihnen kenne (und auch nicht kennen möchte). Und dass ich das sehr wohl mal "probiert" habe, aber eben nicht in den Kreis der Lesben passe; eben, weil ich auch Männer interessant finde und mich richtig unwohl fühlte, beides zu wollen.
In den Kreis meiner (eigentlich nur-)Heterofreunde passe ich wohl noch "besser", fühle mich aber oft un- oder missverstanden: In einer Welt, in der betrunkene, junge, attraktive Mädchen mit anderen betrunkenen, jungen, attraktiven Mädchen rumknutschen, um gröhlende Jungs zu beeindrucken, ist Bisexualität zu so etwas wie "Männer lieben, aber auch mit Frauen rummachen" geworden. Ich habe das immer als die Pseudobisexualität benannt und habe bisher äußerst wenige meinesgleichen getroffen. Ich meine - wirklich meinesgleichen! Natürlich begegnen einem viele, die erzählen, auch große Neugier und Interesse am eigenen (oder doch anderen) Geschlecht zu haben; aber ich hatte noch nie das Gefühl "Ja. Du verstehst mich jetzt."
Ich habe mich noch nie in ein Geschlecht verliebt; noch nie in ein Geschlechtsteil, tolle Titten oder Schwänze; sondern immer in einen Menschen. Ohne Frage war es immer von Bedeutung, ob dieser Mensch auch attraktiv für mich war/ist - aber auch das war wiederrum nie von seinen Geschlechtsmerkmalen alleine abhängig.
In meiner Familie merke ich immer wieder, wie viel leichter es ihnen fallen würde, wenn ich ihnen doch eine einfachere Kategorie anbieten würde: lesbisch oder hetero. Dieses dazwischen mit zeitweiligen Tendenzen (und schon auf diesen Tendenzen fühle ich mich manchmal regelrecht "festgenagelt") verunsichert; und ich merke wie andere (wie auch ich selber) für sich gerne entscheiden, "EH mehr das eine als das andere" zu sein. Das äußerst sich meist in Fragen, ob ich nicht das ANDERE Geschlecht doch gerade vermissen würde... Die Fragen tun mir immer ein bisschen weh; es ist die Frage nach einer Vollständigkeit.
Bei der Musikerin sind mir Kommentare über Exfreunde teilweise richtig unangenehm; wenn ich mit meiner besten Freundin über Schwänze kichere und sie dabei ist, frage ich mich, was sie wohl denkt, und sie hat mir bereits eröffnet, dass sie viel mehr Angst davor habe, dass ich sie mit einem Mann betrügen würe, als mit einer Frau. Der Preis dafür, an beidem interessiert zu sein.
Selbst, als ich ihr erklärte, dass es für mich nicht nach Schema Geschlecht abläuft ("Ich habe XX und bin von XX gelangweilt also würde ich XX nur mit XY betrügen") sondern eine Frage des Menschen ist, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie mir tatsächlich nachempfinden konnte.
Noch schlimmer ist es, wenn meine männlichen Partner es auch noch belächeln, mir "Eskapaden" mit Frauen erlauben, weil es ja ohnehin nicht gleichwertig sei; nicht so schlimm, als würde ich sie mit einem Mann betrügen. Das ist das widerlichste Gefühl; nicht nur, dass mein Dasein, mein Liebesleben mit jemand Zweitem für minderwertig empfunden wird, nein, man erlaubt es mir auch noch netterweise. Diese Denkweise ergibt sich wohl auch aus dem heutigen Bild der Bisexualität.
Obgleich ich immer den Ansatz vertreten habe, dass wir alle Menschen der Liebe sind - und dementsprechend uns immer zufällig in jemandem verlieben, lerne ich Tag auf Tag, dass ich vielleicht falsch liege. Und dass vielleicht nicht die anderen nur noch nicht auf den Hund gekommen sind, sondern ich
irgendwie anders bin.